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Scheitern und Erfolg sind zwei Geschwister

Es hat etwas Überwindung gebraucht, aber ich habe ihn mir dennoch angetan: Der neue Schweizer „Tatort“ von Daniel Levy, gedreht als Plansequenz, erfüllt die in ihn gesetzten Erwartungen. Nicht ganz. Eine Filmkritik von jemandem, der schon seit knapp 20 Jahren keinen Tatort mehr gesehen hat. 

Oh je. Wenn bei einem (Schweizer) Film im vornherein nur über die Machart und vor allem das Spezielle daran berichtet wird, und vor allem die Kameraarbeit über alles gelobt wird (und gleichzeitig die Worte „Story“ und „Spannung“ in der Kritik fehlen), dann ist nichts Gutes zu erwarten. Nach der in erster Linie schlechten Rezeption der letzten Luzerner Tatorte war nichts Gutes zu erwarten. Dennoch hab ich mir voller Mut die vom Staatssender produzierte Sonntagabendunterhaltung mit ein paar Tagen Verspätung reingezogen.

Schon wenige Sekunden nach dem altbekannten Vorspann – und dem einzigen Schnitt im Film – konnte ich nur mit grosser Willensanstrenung meine Hand davon abhalten, umzuschalten und mich ins sichere Netflix-Land zu flüchten. SRF hat tatsächlich zweimal schon fast obszönes Product-Placement betrieben: Die Moderatorin der Kultursendungen, die immer über die SRF-Mattscheibe flimmert und deren Namen man eigentlich wissen müsste, ist gross im Bild, als sie ihre Sendung anmoderiert – inklusive tpc- und SRF-gebrandeter Kamera. Ein paar Momente später wird darauf hingewiesen, dass Radio SRF 2 Kultur das Konzert, an dem die ganze Geschichte spielt, live übertrage. Das war schon ein bisschen frech.

One Take, äh One Shot

Am meisten wurde darüber berichtet, dass der Tatort aus verschiedenen Gründung als Plansequenz, also als eine einzige Einstellung ohne Schnitt gedreht wurde. Entsprechend wurde die Kameraarbeit sehr gelobt.

Naja.

Ich bin grundsätzlich für cineastische Experimente zu haben, inklusive Plansequenz, von SRF als „One-Take“ vermarktet, obwohl es grundsätzlich ein „One-Shot“ ist. Aber so wie immer, wenn man eine Regel bricht, gibt es eine Regel, die eingehalten werden sollte: Man muss die Regeln erst beherrschen, bevor man sie brechen kann.

Drehen ohne Schnitt bewirkt zwangsweise – wenn man nicht nur mit Totalen arbeiten möchte – eine extrem dynamische Kamera. Denn man will ja bei Dialogen sowohl Sprecher und die Reaktion des angesprochenen zeigen. Dies verlangt viele schnelle Schwenks. Aufgrund der Umstände (relativ dunkler Drehort, da keine grosse Scheinwerfer verwendet werden konnten, die ja dann im Bild zu sehen wären) bedingt dies eine offene Blende, und somit eine extrem kurze Tiefenschärfe. Der Hintergrund ist generell unscharf, und bei schnellen Schwenks zwischen zwei Protagonisten ist nur unscharfer Hintergrund zu sehen, was durch Bewegungsunschärfe noch schlimmer gemacht wird.

Die kurze Schärfentiefe ist auch deshalb problematisch, weil die Schärfe nicht immer dort war, wo sie sein sollte – oftmals dauerte es zwei, drei Sekunden, bis die Schärfe nachgeregelt war, oder es wurde gar auf eine saubere Schärfe verzichtet. Ganz auffällig war dies bei der Fahrt durch das Orchester vor dem Ausscheiden des Klarinettisten, wo die Schärfe irgendwo war, nur nicht auf den Protagonisten.

Es ist schon bei einer „normalen“ Szenenauflösung schwierig, in einem Glaskasten wie etwa einem Aufzug zu drehen. Da ist es schon fast klar, dass die Kamera sich im Glas spiegelt. In diversen Szenen sind nicht nur Kamera und Operator, sonder die gesamte Crew zu sehen, wenn auch nur als Schatten auf dem Boden.

Da sieht man deutlich, dass die Produktion an ihre Grenzen gestossen ist, dass zwar gutes Handwerk vorhanden war und ohne Zweifel eine grosse Leistung vollbracht wurde, die gestellte Aufgabe aber dennoch zu gross war. Es ist wie bei der Fussball-Nati: Es haben eben doch nicht ganz gereicht.

Geschichte

Die Geschichte hat mich zu Beginn nicht packen können, nur schon, weil bereits nach wenigen Sekunden klar war, wer der Täter sein würde. Immer und immer wieder wurde ein neuer Subplot, eine weitere Schicht auf die Story draufgepackt, so dass es ziemlich verwirrend wurde. Zudem konnte – aufgrund des gewählten Formats – keine eigentliche Ermittlungsarbeit stattfinden; die beiden Ermittler, die eigentlichen Helden des Tatorts, waren mehr oder weniger nur Beigemüse, die Musik spielte sonstwo (Pun intended).

Die Geschichte, oder zumindest der Kontext, hätten es verdient, ruhiger angegangen zu werden. Es werden Themen angeschnitten, die nicht nur von grosser politischer Tragweite sind, sondern auch emotional relevant genug sind, dass die Erzählung in die Tiefe hätte gehen können. Man hätte hier viel mehr draus machen können – insbesondere deshalb, weil klar war, dass es eigentlich gar nicht um die Ermittler und deren Arbeit geht. Insbesondere der Flückiger hatte nur wenig Screentime, und wahrscheinlich hat ihn niemand wirklich vermisst.

Da die Geschichte in einem Rutsch erzählt wird, gibt es leider keinen Platz, tiefer in die Geschichte einzutauchen, und die Erzählung wird durch die Action bestimmt. Das ist nicht grundsätzlich schlecht, auch hier nicht, man hätte aber so viel mehr draus machen können. Ebenfalls der Erzählform geschuldet ist die Tatsache, dass alle Zusammenhänge aus den Dialogen heraus erklärt werden müssen. So wirken die Dialoge hölzern, wenn eigentlich Offensichtliches ausgesprochen werden muss. Die beiden Beteiligten müssen sich nicht gegenseitig erzählen, was sie beschäftigt, das wissen sie bereits. Der Zuschauer weiss es aber nicht.

Einen mutigen Schritt hat Regisseur Levy mit der Rückblende in die Kindheit einer Figur gewagt, indem er die Rückblende in einem eigenen Raum inszeniert hat. Das ist gut gemacht, wirkt surreal, und lässt den Zuschauer staunen. Doch auch hier ist es eben nicht gut genug: Die in einem Dschungel spielende Szene wirkt unecht, weil sie in einem Raum aufgebaut wurde – wahrscheinlich haben die Ausstatter alle Topfpflanzen im Raum Luzern aufgekauft – und man sieht sogar die Decke des Raumes. Vielleicht war das ja gewollt, who knows.

Inszenierung

Dennoch ist es mir schwergefallen, kritisch zu bleiben, mich aufzuregen, und der Film begann, mir zu gefallen. Warum nur? Ich denke, es war die Inszenierung. Die Schauspieler waren gut gecastet, und für ihre Rollen ideal besetzt. Mit Ausnahme der Kommissare (aber da kann Levy nichts dafür): Es kommt auch nur in einer Schweizer Krimiserie vor, dass die weibliche Protagonistin nicht jung, schlank und äusserst attraktiv ist. Und vom Gubser hab ich zum Glück zu wenig gesehen, als dass ich mir ein Bild machen könnte, abgesehen vom etwas peinlichen Auftritt aus Fussballfan im FCL-Trikot.

Die Stimmung hat es ausgemacht. Auch wenn die Protestierenden vor dem KKL in einem einzigen Kastenwagen hätten abtransportiert werden können und auch wenn das Geld für Demo-Ausrüstung der Polizisten gefehlt hat, die Stimmung konnte gut eingefangen werden. Die Hektik, das Chaos, aber auch die Spannungen zwischen den Charakteren kamen gut herüber. Ich war positiv überrascht, wie der Film mich trotz aller Schwächen in anderen Bereichen zu fesseln begann.

Der olympische Gedanke

Offiziell wurde verkündet, dass man sich für einen One-Shot entschieden habe, da man nur wenige Tage im KKL drehen durfte. Deshalb hat man dieser Entscheidung alles untergeordnet, und ist viele, vielleicht zu viele Kompromisse eingegangen. So ist ein Film entstanden, der in vielen Bereichen Mängel hat.

Ein Gedankenexperiment: Hätte man den Tatort an einem – hahaha – anderen Tatort drehen können, beispielsweise einem Theater oder Opernhaus, oder der Tonhalle? Dann hätte man einen „normalen“ Film machen können, hätte viele Probleme umschiffen können, und auch der Geschichte den nötigen Raum geben können.

Abgesehen davon, dass dies eben nicht „sexy“ genug gewesen wäre: Wäre dann aber wirklich ein besserer Film herausgekommen? Die Reaktionen auf die letzten Luzerner Tatorte lassen Zweifel aufkommen.

So konnte man sich hinter den Schlagworten „One-Take!“ (sic), „KKL!“ und „Kunst!“ verstecken, was vielleicht dem einen oder anderen gar nicht so ungelegen kam – weil man so die Kompromisse wegdiskutieren kann.

Die vierte Wand (Spoiler Alert)

Falls es in so einem Film überhaupt Spoiler geben kann, hier ist einer. Die eigentliche Hauptfigur, garantiert inspiriert von Carl Hirschmann, bricht immer wieder die vierte Wand und spricht direkt mit dem Zuschauer. Wo dies Kevin Spacey in The House of Cards tut, um dem Zuschauer die komplexen Zusammenhänge der amerikanischen Politik zu erklären, geschieht dies hier aus nichtigem Grund. Der Protagonist gibt dies sogar offen zu: Die Kamera folge ihm, um die Lücke zwischen zwei Szenen zu überbrücken, und er verweist auch auf das Drehbuch und merkt an, dass dieser Tatort eben „ganz normal“ sei, wenn auch „ein bisschen kürzer als gewohnt“.

Grundsätzlich ist dies sympathisch und regt zum Schmunzeln an, aber man fragt sich: wieso? Die Geschichte braucht es nicht, es wirkt unmotiviert. Ich kann es mir nur so erklären: Die Macher haben gewusst, dass sie grosse Kompromisse mit diesem „Experiment“ eingegangen sind und sich dachten, dass es jetzt eh keine Rolle mehr spiele, und sie sich nicht ganz ernst zu nehmen hätten.

Und dies zeigt – so sympathisch es eigentlich ist – das Hauptproblem auf, das ich mit diesem Film habe: Es geht nur um die Erzählform, nur um den One-Take, äh One-Shot. Das ist alles, worüber im Film und im Zusammenhang mit dem Film gesprochen wird. Und es wird somit ein Grundsatz von User Centered Design verletzt: Form follows Function. Oder das Mittel ist nie Selbstzweck. Und genau deshalb geht es für mich nicht auf.

Und es gibt mir eine Ausrede, diese Kritik auf Grobkonzept zu veröffentlichen. 🙂

(Und wenn Ihr mehr über UX, User Centered Design oder innovations-bezogene Themen wissen möchtet, nehmt mit Ueli dem Bot Kontakt auf.)

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